Kunst, Genuss und Kunstgenuss

Zur DNA der schönen Künste wie Musik, Dichtung und Malerei gehört ein Dilemma. Entweder man ist der Überzeugung, es gebe ein objektiv gültiges Kriterium für gute und damit im klassischen Sinn schöne Kunst. Oder man bezweifelt die Existenz dieses Kriteriums und erklärt Kunst zur Sache des subjektiven Geschmacks.

Im ersten Fall gerät man schnell in die Verlegenheit, das vermeintlich objektive Kriterium auch benennen zu müssen. Und das haut freilich so gut wie nie hin. Entweder man beruft sich auf Instanzen, die etwas zu sagen haben, wie anerkannte Kritiker oder berühmte Künstler, oder man flüchtet sich in die Ideologie. Schön ist dann, was die Ideologie politisch unterstützt. Ein wirklich objektives Kriterium aber hat noch niemand gefunden, oder?

Ist also alles subjektiv? Nun ja, das würde bedeuten, dass es keine große – oder wie man eben früher gesagt hätte: schöne Kunst gibt. Denn dann ist jedes Kunstwerk erst einmal Geschmackssache. Wer es mag, für den ist es schön. Wer nicht, für den halt nicht. Ende der Geschichte. Über den Wert der Kunst entscheidet dann nicht die Schönheit des Kunstwerkes sondern wie viele Geschmäcker es zufällig trifft. Mit einem Wort: die Verkaufszahlen entscheiden über die Schönheit der Kunst.

Ähnlich ist es beim Pfeifentabak. Tabak ist reine Geschmackssache. Entweder man mag ihn, oder man mag ihn nicht. Was soll da das Gerede über guten und schlechten Tabak. Entweder er verkauft sich, weil er eben vielen Menschen schmeckt. Oder eben nicht. Dann heißt es: raus aus dem Sortiment!

So ähnlich habe jedenfalls ich bis letzte Woche über Tabak gedacht. Dann habe ich mir den Pfeifentabak Nummer Zwei von Poul Winslow zugelegt und bin ins Grübeln
gekommen. Inzwischen bin ich schon fast zu einer Überzeugung gelangt, die meiner Auffassung zur Frage nach der objektiven Schönheit der Kunst ziemlich ähnelt: Ich glaube, es gibt objektiv schöne Kunst, und ich bin geneigt zu glauben, es gibt objektiv guten Tabak. Schuld an meiner Bekehrung war der Dosendeckel von Poul Winslows Tabak.

Ich weiß, ich weiß: Ich spreche in Rätseln. Lasst mich ein wenig ausholen, um zu erklären, was ich meine. Poul Winslow ist unter uns Pfeifenrauchern berühmt für seine erstklassigen handgefertigten Pfeifen. Was nicht viele wissen: Poul Winslow ist nicht nur ein bildender Künstler, wenn es um Pfeifen geht. Nein, er ist auch Maler und hat einige wirklich beeindruckende Werke geschaffen. Mehrere seiner Werke könnt Ihr nicht nur auf seiner Webseite bewundern sondern auch auf den Deckeln seiner Tabakdosen.

Als ich nun letzte Woche den Nummer Zwei kaufte und die Abbildung auf dem Deckel bestaunte, musste ich – und jetzt hole ich wirklich weit aus – an die Kunsttheorie des Philosophen Immanuel Kant denken. Kant hatte in seinem 1790 erschienenen Buch „Kritik der Urteilskraft“ untersucht, ob es Kunstwerke geben kann, die unabhängig vom individuellen Geschmack gemeingültig als schön bezeichnet werden können. Sein Schluss: Wenn ein Kunstwerk so beschaffen ist, dass es die bei allen Menschen gleiche Grundstruktur des Erkenntnisvermögens anregt, dann ist es so wie wir heute sagen würden „objektiv“ schön. Wichtig war für Kant, dass es nicht darum geht, tatsächlich etwas zu erkennen, sondern gewissermaßen die pure Erkenntnisfähigkeit durch den Kunstgenuss zu ahnen.

Ein Beispiel: Wir lesen ein Gedicht und finden es gut, weil wir ahnen, dass es da mehr als das Offensichtliche gibt. Ein gutes Gedicht lässt uns seinen verborgenen Sinn spüren. Wir spüren die Möglichkeit diesen zu erkennen.

Ein anderes Beispiel: Abstrakte Kunst ist nicht deswegen schön, weil sie etwas Schönes abbildet. Sondern sie ist schön, weil sie unser Erkenntnisvermögen zu einem Spiel animiert. Wir erkennen keinen Gegenstand sondern spüren unsere Fähigkeit zu erkennen; wir empfinden die pure Erkenntnismöglichkeit, ohne von ihrer Verwirklichung abgelenkt zu werden.

Ich fand immer, dass gerade abstrakte Kunst sehr gut verdeutlicht, was Kant gemeint hat. Wie einige von Euch vielleicht wissen, habe ich vor Jahr und Tag mal Philosophie studiert. Und irgendwie ließ mich das abstrakte Gemälde von Poul Winslow zurückdenken an meine Kant-Lektüre. Denn sie war der Grund dafür, dass ich an die Existenz von wirklich großer Kunst glaube, die völlig unabhängig ist von der individuellen Verschiedenheit des Geschmacks und damit auch von Verkaufszahlen.

Aber der ästhetisch wertvolle Tabakdosendeckel warf in mir auch eine Frage auf. Kann es nicht auch so etwas geben, wie einen objektiv guten Tabak? Einen Tabak also, dessen Geschmack so beschaffen ist, dass er unser Erkenntnisvermögen anregt? Wir
schmecken die Aromen, die Tabaksorten, wie sie einander ergänzen, sich zu einem Ganzen formen, für das es recht eigentlich keinen Namen gibt. Zugleich spüren wir aber in uns die Fähigkeit, Geschmäcker zu unterscheiden, zu analysieren und zu erkennen. Was wäre, wenn der Geschmack eines guten Tabaks nichts anderes wäre als ein Kunstwerk, das wir durch unseren Genuss interpretieren, so wie ein Sänger einen Song interpretiert? Dann gäbe es wirklich zwei Arten von Tabak: objektiv guten Tabak und Tabak, der sich gut verkauft. Beide können, müssen aber nicht identisch sein.

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